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Buchrezension: Flucht und Rückkehr – Deutsch-jüdische Lebenswege nach 1933

von Manfred Schmitz-Berg | 7. Mai 2020

Auch ein Dreivierteljahrhundert nach der Befreiung der Konzentrationslager und dem Ende des Nazi-Regimes bleibt es unerlässlich, sich der zahllosen Verfolgungsschicksale zu erinnern – nicht zuletzt, um den nicht enden wollenden dumpfen Parolen nationalistisch-völkischer Agitatoren in der gebotenen Weise entgegenzutreten.

Im neuen Sammelband „Flucht und Rückkehr“, von der Historikerin Prof. Dr. Barbara Stambolis herausgegeben, werden in elf Beiträgen unterschiedliche deutsch- jüdische Lebenswege exemplarisch nachgezeichnet. Menschen, deren Familien über Generationen in Deutschland angesiedelt und integriert waren (Ludwig Bendix: „Wir fühlten uns keineswegs als assimilierte Juden, sondern als Deutsche, wie die anderen Deutschen,…“), wurden infolge krankhaften Rassenwahns ihrer Heimat beraubt und ins Exil gezwungen. Dabei zählten sie immerhin zu den Verfolgten, die sich rechtzeitig dem schließlichen Zugriff der Nationalsozialisten auf das nackte Leben entziehen konnten. Einige Beispiele:

Beispiele für deutsch-jüdische Schicksale

Günther Stern wurde 1922 in Hildesheim geboren und konnte am 28.Oktober1937 in die USA auswandern, wo er es später als Guy Stern zum renommierten Literaturwissenschaftler brachte. Erst im Alter von fast 90 Jahren erfuhr er eher zufällig von den wahren Umständen seiner Ausreise und dass er sein Leben wahrscheinlich einer amerikanischen Sozialarbeiterin verdanke, die sich nachhaltig für seine Einreise in die USA eingesetzt hatte.

Hans-Joachim Schoeps, 1909 in Berlin geboren, hatte 1933 den Verein „Der deutsche Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden“ gegründet und wurde als „hitlertreu“ angesehen; gleichwohl floh er an Heiligabend 1938 nach Schweden. 1946 kehrt er nach Deutschland zurück. In seinem in Auszügen dargestellten Tagebuch heißt es: „Ich wusste die ganze Zeit über, dass ich außerhalb Deutschlands nicht auf die Länge leben kann. … Ich kehre in das wirkliche Leben zurück, in mein Leben, das mich hineinstellt in die Solidarität des zweiten deutschen Nachkriegs- und Hungerwinters.“ Und später: „Ich fühle, ich habe endlich heimgefunden.“

Aus der Emigration zurück nach Deutschland?

Im Kapitel „Niemals-vielleicht-lieber heute als morgen!?“ stellt das Beispiel von Valeska Gert, Gabriele Tergit und Lotte Laserstein dar, wie unterschiedlich die Entscheidung ausfallen konnte, ob man nach Kriegsende aus der Emigration nach Deutschland zurückkehren sollte oder nicht. Lotte Laserstein beschreibt das Dilemma 1946 in einem Brief aus ihrem schwedischen Exil: „So bleibt hier bei aller Freundschaft und allen herzlichen Beziehungen immer eine Kluft. Aber dieselbe Kluft wird mich trennen…von denen, die es dort – in Deutschland – erlebt haben. Das ist das Schicksal von uns Emigranten.“

Neben solchen primär auf Einzelschicksale gerichteten Beiträgen präsentiert der Sammelband eine Reihe wissenschaftlich aufbereiteter Untersuchungen zu philosophischen, historischen, sozialen und psychologischen Aspekten „verlorener Heimat“. Insgesamt vermittelt das Buch in eindringlicher und oft berührender Weise einen Eindruck davon, wie Menschen ohne – nicht nur! – für sie nachvollziehbaren Grund aus ihrem vertrauten Leben herausgerissen wurden, wie sich der Verlust des familiären Umfelds, der Kultur, der Sprache ausgewirkt haben, wie die Ankunft im Exil durchweg nicht von einem warmherzigen Willkommen begleitet war. Und letztlich: wie alle Verfolgten lebenslang an dem erlittenen Trauma zu leiden hatten, jeder auf seine ganz persönliche Weise.

Fazit:

Ein rundum empfehlenswertes Buch für alle, die sich für die Schicksale anderer Menschen interessieren und erfahren – oder bestätigt haben – wollen, wie sich Gewalt auf Körper, Geist und Seele eines Betroffenen auswirken kann. Und die Lektüre hilft, sich das Leiden der Millionen Menschen zu gegenwärtigen, die derzeit weltweit in Flucht und Vertreibung leben…

Literaturangabe: Barbara Stambolis (Hg.): Flucht und Rückkehr – Deutsch- jüdische Lebenswege nach 1933, Psychosozial-Verlag, erschienen 2020, ISBN 978- 3-8379-2977-5 (Print) / 978-3-8379-7674-8 (E-Book-PDF)